„Spieglein, Spieglein…“

Schönheitsdruck und Selbstliebe.
#2 unserer neuen Kolumne ‚Freiheit, Gleichheit, Geschlechtergerechtigkeit‘

„Du siehst aber toll aus! Hast du abgenommen?“, „Also als ich dich kennengelernt habe mochte ich deine große Nase nicht, aber jetzt finde ich sie ganz süß.“, „Schatz, das kannste aber mit deiner Figur nicht anziehen…“ – Kennt ihr sie auch, die Ratschläge und andauernden Kommentare über euer Aussehen?

Schon von Kindheitstagen an wurde mein Aussehen und meine körperliche Entwicklung von so ungefähr jedem Menschen kommentiert – Ob das nun die Nachbarin, die beste Freundin, meine Eltern oder sogar irgendwelche fremden Menschen waren. So habe ich von klein auf gelernt:

  1. Wichtig um gemocht zu werden oder liebenswert zu sein ist, dass du gut aussiehst
  2. Andere haben permanent das Recht, deine vermeintliche „Schönheit“ auf einer Skala einzuordnen und deinen Körper zu bewerten.

Und damit scheine ich nicht alleine zu sein: In meinem engsten Umfeld drehen sich unglaublich viele Gespräche um das Thema „(Un-)Zufriedenheit mit dem eigenen Körper oder Aussehen“ oder auch die Beurteilung Anderer. Ferner noch: Laut einer Umfrage unter 3.000 Frauen zu den wichtigsten Aspekten für ihre Selbstsicherheit, gaben 58% der Befragten an, die Zufriedenheit mit ihrem Körper oder ihrer Figur wäre ihnen am Wichtigsten.

Leider gab es die letzte aussagekräftige Studie zum Thema (Un-)Zufriedenheit mit dem eigenen Aussehen zuletzt 2016… Deshalb würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn ihr euch am Ende des Artikels kurz in meine kleine Umfrage dazu reinklickt. Dafür jetzt schon ein riesen MERCI! <3

Wie denkt ihr über euer Aussehen?

Die Umfrage findet ihr hier.

Aber warum ist das so? Naja, so einfach ist diese Frage wohl nicht zu beantworten. Zahlen doch so viele Faktoren und Erfahrungen darauf ein, dass sich heutzutage schon Grundschulkinder „zu dick“, „zu hässlich“ oder „zu unattraktiv“ fühlen.

• Fangen wir doch mal ganz vorne an. Und zwar beim eigenen Zuhause. Ursula Kals hat 2017 in der FAZ einen Artikel darüber geschrieben, welchen Anteil wohl auch Mütter schon an unrealistischen Schönheitsidealen haben. Denn wie wir wissen, imitieren Kinder unsere Verhaltensweisen und prägen sich Gesagtes in Form von Glaubenssätzen meist bis ins hohe Alter ein. Wenn wir also bedenken, dass rund 75-80% der Frauen in ihrem Leben schon mal eine Diät gemacht haben, stehen die Chancen sehr gut, dass man mit verschiedensten Diäten und einem unguten Gefühl gegenüber Essen aufgewachsen ist.

• Darüber hinaus werden die Meisten auch diese gut gemeinten Ratschläge kennen: Ob man dieses oder jenes wirklich noch essen will, dass man ja so blass aussähe, wenn man auf der Familienfeier ungeschminkt auftaucht oder wenn mal wieder Ernährungstipps zum Besten gegeben werden. Auch diese Sprüche nagen im Laufe der Zeit am eigenen Selbstbewusstsein. Von Mobbing in der Schule, von Familienmitgliedern oder Freund*innen muss ich gar nicht erst anfangen. Was das auslöst, wissen wir alle.

• Außerdem liegt gerade bei Mädchen meist von Beginn an der Fokus auf ihrem Aussehen. Während gleichaltrigen Jungs Stärke, Cleverness oder Ähnliches nachgesagt wird, wird den Mädchen zum süßen rosa Kleid gratuliert, ihre Schönheit betont und vor allem oft das Gefühl vermittelt, dass vermeintlich hübschere Mädchen leistungsfähiger wären und mehr gemocht werden.

• So entsteht übrigens im nächsten Schritt die Idealisierung von gewissen Körperidealen, die von den Kleinsten schon als erstrebenswert wahrgenommen werden. Diese Ideale übernehmen wir auch in die Jugend und schließlich ins Erwachsenenalter, wo daraufhin Klischees reproduziert werden, die beispielsweise Frauen mit Mehrgewicht eine zärtliche Art absprechen oder kurzhaarigen Frauen nachsagen, grundsätzlich weniger weiblich und laut zu sein. Denn wir haben gelernt: Du bist liebenswert, wenn du hübsch und schlank und ruhig bist. Alles andere passt dann nicht mehr in das Schema.

• Dann kommt in der (Vor-)Pubertät das Horrorszenario: Der erste Hosenkauf. Till Raether hat über den Jeanskauf mit seiner elfjährigen Tochter in der SZ geschrieben. No more words needed.

• Und natürlich sind dann auch noch die Kindheitsheld*innen schöne, schlanke Frauen, die zwar im Laufe der Zeit emanzipierter wurden, aber dennoch ein perfektes, niemals erreichbares äußerliches Idealbild konstruieren. Dann sitzt man dort, mit der knubbeligen Nase, großen Poren, Dehnungsstreifen oder dünnen Haaren und hat keine Identifizierungsmöglichkeit mit den Held*innen, die dort über die Leinwand flimmern. Das frustriert. Und man hat das Gefühl, nicht dazuzugehören – zum Club der Schönen, zu dem die coolen Kids in den Filmen gehören.

• Und am schlimmsten: Wir lernen, Komplimente nicht anzunehmen oder als nicht wahr zu deklarieren. „Das können die doch nicht ernst meinen!“ – Tendenziell lehnen wir Komplimente also eher ab und schätzen uns selbst häufig als viel unattraktiver ein als andere.

Vor nicht allzu langer Zeit hat mich eine Freundin gefragt, ob es unfeministisch sei, dass sie unzufrieden mit ihrem Körper ist und sich wünscht, schlanker zu sein.

Per sé würde ich sagen: Nein. Denn mit der Begründung, dass man gerne aktiver, gesünder oder was auch immer sein möchte – und das für sich selbst tut – kann ich nur sagen: Go for it!

Allerdings würde es meiner Meinung nach feministische Werte vernachlässigen, wenn der Antrieb für ein Diät- oder Sportprogramm alleine dieser ist, dass man denkt, dadurch würde man Attraktivitätspunkte sammeln wie bei Pacman. Wenn wir in diesem Zuge nicht hinterfragen, woher die aktuelle Unzufriedenheit kommt und aus welchem Grund wir glauben, dass wir mit weniger Kilos, einem durchtrainierten Körper oder ohne Cellulite wertvoller, attraktiver oder liebenswerter wären, empfinde ich das sogar als grob verletzend gegen einen selbst. Wir wissen nämlich wohl alle, dass ein schlanker Körper alleine nicht glücklich macht. Aber meist ist man so verbissen auf das Ziel, endlich dünn zu sein, weil dann ja vermeintlich alles besser wäre. Doch das wäre es nicht – Der Strudel aus ewigem schlechten Gewissen nach dem Naschen, dem Hass auf den eigenen Körper und der generellen Unzufriedenheit mit sich selbst wird nicht besser.

Viel wichtiger, als direkt ins Fitnessstudio zu rennen und ohne Ende Kalorien zu zählen wäre jetzt, die eigenen Glaubenssätze zu hinterfragen und sich zu überlegen, woher diese kommen.

👉 Wenn also beispielsweise in der Umkleide das „Mit deiner Figur kannst du sowas nicht tragen!“ hochkommt, fragt euch mal: Seid das ihr, die da zu euch sprecht? Oder ist es eure Mutter, (ehemals) beste Freundin oder der gemeine Klassenkamerad aus der 8. Klasse?

👉 Dann überlegt euch ein Gegenargument, das ihr an euren inneren Kritiker abfeuert, wie beispielsweise „Du hast recht, dieses Kleid steht mir nicht so gut. Ich probiere noch mal das Lilane von eben an, das mir so gut gefällt.“ – Etabliert also eine innere beste Freundin, die euch gegen den Troll verteidigt.

👉 Versucht nachhaltig gute Affirmationen, also positive neue Glaubenssätze, in eure Gedanken einzustreuen. Dazu gibt es tolle Podcastfolgen von Sarah Desai und Laura Malina Seiler und ich habe euch weiter unten im Artikel noch ein paar „Komplimente“ zusammengetragen.

👉 Umgebt euch mit Menschen, denen Aussehen nicht so wichtig ist und die euch für eure einzigartige Schönheit lieben. Das gilt auch für eure Social Media Bubble: Entfolgt Menschen, die euch ein schlechtes Gefühl vermitteln oder von denen ihr wisst, dass sie unrealistische Schönheitsideale reproduzieren. Dass diese das meist übrigens nicht aus böser Absicht tun, hat Jameela Jamil wunderbar in einem Post beschrieben.

👉 Schaut euch unbedingt das tolle Schmink-Tutorial von AOC und das von Kim Hoss an. Thank me later.

Und was können wir jetzt noch dagegen tun?

Lasst uns aufhören, unsere Gedanken ständig um unser Aussehen und unsere vermeintlichen Problemzonen kreisen zu lassen. Und lasst uns anfangen, uns selbst mehr lieb zu haben und unseren Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge zu legen. Nämlich darauf, was wir alles sind und wofür andere Menschen uns lieben. Und das kann die inspirierende Art sein, die andere mit Energie ansteckt, die aufrichtige Anteilnahme und das Mitgefühl, das wir den Liebsten entgegenbringen oder vielleicht auch einfach nur, weil ihr eben seid, wer ihr seid!

Ich habe noch 30 kleine Affirmationen für euch gesammelt, die ihr regelmäßig verinnerlichen solltet. Denn wir sind so so so so so viel mehr, als nur unsere physische Hülle. Und ihr seid schön, weil ihr tausend Teile habt, die euch schön machen! 🤍

Doch eins wird mir immer klarer: Nicht nur Frauen unterliegen einem immensen Schönheitsdruck. Nein, auch Männer tun dies.

In den letzten Wochen sind wir unter anderem durch Kim Hoss noch einmal mehr darauf aufmerksam geworden, wie bei Männern der Druck „abliefern zu müssen“ vor allem beim Dating aufgebaut wird, und zwar mit mindestens 1,80 Körpergröße und bestenfalls einem faustdicken Schwengel.

Im 2. Teil des Artikels „Spieglein, Spieglein…“, werden wir unseren Blick also noch mal mehr auf die männliche Seite der Medaille legen.

Falls ihr noch Bock habt, fix bei der Umfrage mitzumachen, findet ihr den Link hier. 💕 DANKE!

Ihr tollen, wunderbaren und liebenswerten Frauen da draußen: Ihr seid einzigartig und wunderschön, so wie ihr seid! Euch machen so viel mehr Dinge schön, als irgendwelche Maße, volles Haar, feine Poren oder was uns sonst noch als Ideal vorgegaukelt wird.

Also bleibt mir ganz am Schluss nur zu sagen: Fangt an, euch neue Role models zu suchen, die ihre einzigartige, strahlende und vor allem REALE Schönheit zelebrieren.

Inspiration gefällig?

Wer hier schreibt:

Hi, ich bin Leni – Ich bin FEMboss Supporterin aus Düsseldorf und ich bin pissed. Pissed über unrealistische Beautystandards, über frustrierende Datingerfahrungen als mehrgewichtige Frau, auf scheiß Bemerkungen und Kommentare zu meinem Äußeren und vor allem, dass ich mir überhaupt so viele Gedanken über mein Aussehen mache. Deshalb schreibe ich heute hier alleine. Um mit euch diesen für mich sehr emotionalen Artikel zu teilen.

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Denn sonst: In einem unserer Teamcalls haben wir über Geschlecht, Erziehung, Sozialisation und vor allem über eins gesprochen: Dass es nicht von ungefähr kommt, dass Frauen oft benachteiligt werden. Denn den Ursprung vieler Ungerechtigkeiten finden wir schon in der Kindheit wieder. Deshalb haben Ines und ich uns auf die Suche gemacht und unsere neue Kolumne „Freiheit, Gleichheit, Geschlechtergerechtigkeit“ gestartet. Wir nehmen euch mit auf eine Reise durch die bizarre Welt der Genderinequality und teilen unsere Erkenntnisse und spannende Insights hier im FEMboss Magazin mit euch.

Teil 1 der Kolumne findest du hier.