Sei die Choreograf*in deines Lebens
Selbstständigkeit in kreativen Berufen
Ein Artikel von Katharina Riebschläger, Gründerin und Social Entrepreneur Ballett Factory
Es war ein ganz normaler Tag im Sommer 2013. Ich stand in der Ballettschule meiner Mentorin und ich bekam am Rande eine Diskussion mit, über den akuten Bedarf an qualifiziertem Ballettunterricht in Emden, einer kleinen Stadt in Ostfriesland. Ich wurde in das Gespräch mit einbezogen und es entstand die Idee mit einer befreundeten Tanzpädagogin vorerst projektweise Unterricht in dieser Stadt anzubieten, um zu schauen, wie sich die Nachfrage und die Idee einer neuen Tanzinstitution überhaupt entwickeln würde.
Ich muss dazu sagen, dass ich mich zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben in einem, nennen wir es mal, Findungsprozess befand. Nach meiner Tanzausbildung und meinem Bachelor-Studium im Bereich Business Administration sowie einigen längeren und kürzeren Auslandsaufenthalten, Praktika in verschiedenen Branchen, Tanzengagements, einer Festanstellung, den Start in das Masterstudium (Kultur – und Medienmanagement) gelangte ich wieder zurück an den Punkt, der eigentlich mein ganzes Leben für mich schon klar war: ich wollte tanzen. Kunst schaffen. Künstlerin sein. All das, was seit meiner Kindheit meine Priorität, mein Traum, mein Alltag war. Einige Jahre der Selbstfindung waren wohl nötig, um zu begreifen, was für mich wirklich wichtig war. Was mein Herz bewegt und meine Leidenschaft erweckt.
Das Business hinter der Kunst
Zuerst war der Gedanke, sich nun räumlich und beruflich festzulegen, nach den Jahren des Rumtingelns ungewohnt, wenn nicht sogar etwas angsteinflößend. Ich habe aber auch in dieser Zeit festgestellt, dass ich scheinbar ein sehr intuitiver Mensch bin, so dass ich mich erstmal aus dem Bauchgefühl heraus auf das Projekt in Emden einließ. Was letztendlich daraus entstanden ist, ist das, was ich vielen Kultur – und Kunstschaffenden hiermit mit auf den Weg geben möchte. Dieser Artikel ist keinesfalls als Anweisung für das Leben als Tanzschaffende*r zu verstehen.
Ich behalte mir das Recht vor, dass ich nicht alles weiß, eine privilegierte Ausgangssituation habe und auch nicht über individuelle Lebenskonzepte urteilen kann. Ich möchte mit dir meine Erkenntnisse teilen, um dich als Künstler*in zu ermutigen den ersten Schritt zu wagen und deinen Traum wahr werden zu lassen. Ich möchte Denkanstöße geben, ohne zu behaupten, dass ich in irgendeiner Weise überlegen bin oder komplett unfehlbar. Ich möchte inspirieren und Mut machen, weil ich denke, dass so viel kreatives und künstlerisches Potenzial oft nur in den Zimmern der Menschen vor sich hin schwingt und selten, vielleicht auch niemals den Weg nach draußen schafft. Dabei kann jeder kreative Moment, jedes Projekt und jeder künstlerische Gedanke die Welt so sehr bereichern. Was ich natürlich mit meiner Geschichte nicht ausdrücken möchte ist, dass ich dazu plädiere, dass jeder Mensch, der künstlerisch denkt, arbeitet und kreatives Talent besitzt per se auch gleich alles hinzuwerfen muss, um freiberuflich seinen Lebensunterhalt verdienen soll. Ich beziehe mich aber mit meiner Geschichte in diesem Artikel auf jene Personengruppe, die genau davon träumt jeden Tag künstlerisch zu arbeiten, sprich damit auch ihr Leben zu finanzieren. Denn genau das ist oft der Punkt, den Kreative nicht gerne angehen. Das BUSINESS hinter der Kunst.
In meinem Kulturmanagement- Studium ist genau dieses Thema sehr häufig Ausgangspunkt für hitzige Diskussionen gewesen. Marketing und Kunst. Ökonomie und Kreativität. Passt dies zusammen? Verbaue ich mir künstlerische Gedanken, in dem ich einen Businessplan erstelle oder eine Excel-Tabelle ausfülle? Meine persönliche Meinung ist: NEIN. Ich glaube, wenn man in der kreativen Branche erfolgreich sein möchte (dabei belasse ich die Definition von Erfolg bei jedem persönlich) ist ein wenig „Business“ (auch dieser Begriff bedarf, meiner Meinung nach, einer Generalüberholung) notwendig , um ein stabiles Fundament für einen langen, erfüllenden und glücklichen künstlerischen Werdegang zu etablieren. Dazu gehört konkret nicht das Fachwissen über Makroökonomie, Wirtschaftsmathematik und Finanzierung 1, 2 und 3, sondern einfach einige erste Basics, die sich jeder (ggf. mit freundlicher Unterstützung) aneignen kann, wie Buchhaltung, Marketing, Kommunikation, Steuerrecht etc. Konkret habe ich die Erfahrung gemacht, dass man sich das meiste auf seinem Weg in die Selbstständigkeit nach und nach aneignet und immer wieder dazu lernt und am Ende sowieso als Allrounder*in endet, je nachdem, wie viel man selber machen möchte. Keiner muss eine ausgebildete Betriebswirt*in sein, um zu gründen.
..wenn Du dein Herz dem öffnest, was Du liebst [..]
Ich habe also dieses Projekt in Emden durchgezogen und letztendlich gemerkt, wie erfüllend das Unterrichten, das Kreieren und das Choreografieren für mich sind. Schnell bildete sich eine unheimliche Nachfrage und ich entschied mich, wieder sehr spontan und intuitiv dazu eine eigene Tanzschule in dieser Stadt zu eröffnen. Ich gründete also ein kleines Unternehmen.
Kennt ihr das Phänomen, dass sich alles im Leben fügt und die Dinge, die Du dir wünschst auf dich zukommen, wenn du dein Herz dem öffnest, was du liebst und wofür du brennst bzw. worauf du deinen Fokus legst? Positive und starke Gedanken manifestieren sich in deinem Gehirn und du triffst dann immer wieder auf Zeichen, auf helfende Hände, auf Positivität, so dass alles einen großen Sinn ergibt und du weißt, dass das der richtige Weg ist? So war es bei mir. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Eröffnung der Schule herumgesprochen und ich habe schnell viele wunderbare Tänzer*innen in meiner Institution begrüßen dürfen, die zum Großteil noch heute an meiner Seite tanzen.
Nun leite ich seit sieben Jahren meine Ballet Factory und habe so die Möglichkeit gewonnen alle meine weiteren Leidenschaften und Ideen und Visionen in mein tägliches Schaffen zu integrieren. Ich kann nach meinen Werten leben, jeden Tag kreativ sein, Geschichten durch den Tanz erzählen, Fußabdrücke hinterlassen, Menschen helfen und Neues kreieren. Aktiv statt passiv sein. Ich kann reisen und Kindern in fernen Ländern ebenfalls die Freude am Tanz schenken. Ich kann all meine Erfahrungen, die ich dann auf diesen Reisen sammle in meine Tanzstücke einfließen lassen. Und ich kann meinen Schüler*innen Selbstbewusstsein und Lebensfreude und Werte vermitteln, um sie tänzerisch und menschlich zu unterstützen sich zu weitblickenden und starken Individuen zu entwickeln. Ich muss nicht auf jemanden warten, ich kann entscheiden. Alles fließt. Ich bin erfolgreich. Ich definiere Erfolg aber nicht an betriebswirtschaftlichen Zahlen, wobei auch die zumindest soweit stimmen sollten, um ein stabiles Fundament zu gestalten von dem aus man sich dann sorgenfrei weiter entfalten kann. Eine gesunde Balance also zwischen einer erfüllenden und bereichernden Basis und dem Maximum an Freiheit, um seiner individuellen Kreativität Raum zu geben, das bedeutet Erfolg für mich. Es war mir immer wichtig meiner Fülle an Ideen und Interessen diesen Raum, diesen Spielplatz bieten zu können, weswegen die räumliche und berufliche Festlegung letztendlich für mich die größte und kraftvollste Entscheidung war, die ich je hätte treffen können. Ich habe angefangen, der Rest hat sich zu dem gefügt, was ich mein persönliches großes Ganzes bezeichnen würde. Die Angst, dass andere Leidenschaften der Ballettschule Platz hätten machen müssten, war verflogen. Ich kann nun auf Grund der maximalen Flexibilität und meiner Selbstbestimmtheit meinen Tages – Wochen – Jahres- und Lebensrhythmus zu organisieren, dass ich alles, was ich bin und was mich ausmacht miteinander verweben kann. Zeitlich, energetisch, kreativ – auf meine Werte ausgerichtet. Mit etwas „Business“, aber viel Schaffenskraft und Weitblick im Hintergrund.
Erfolg bedeutet für mich nach meinen Werten leben zu können, frei entscheiden zu können und Erfüllung zu finden in all den Dingen, die ich jeden Tag tue, dem natürlichen Fluss meines Lebens zu folgen und meine vielseitigen Interessen miteinander zu verbinden, die mich selbst erfüllen und auch andere. Denn wenn ich glücklich bin, kann ich andere glücklich machen und automatisch geschehen die wertvollen Momente im Leben, wo du bemerkst, dass du mit deinem Schaffen anderen etwas zurückgeben kannst. Im Endeffekt ist es das Kraftvollste, was du der Welt schenken kannst: Mutig sein, dein Passion Project angehen und dann etwas Neues, Gutes entstehen zu lassen. Ich habe gelernt nicht der Wenn-Dann-Mentalität (=wenn ich erfolgreich bin, dann bin ich glücklich etc.) zu folgen, die sehr schwer auf unserer Gesellschaft lastet, sondern auf mein spontanes Bauchgefühl zu hören und meiner Energie und der Energie um mich herum zu vertrauen. Ich glaube eher an die umgekehrte Gleichung: wenn ich glücklich bin, dann kann ich auch erfolgreich sein. Natürlich gehört zu einem guten Business-Plan auch die Erstellung einer vernünftigen Risikoanalyse für dein potenzielles Unternehmen – nun ja, ich bin der Meinung, dass dies aber auch eine etwas veraltete BWLerische Perspektive auf die Gründung eines Unternehmens darstellt. Klar, Risiken gibt es immer, aber die gibt es überall. In Beziehungen, bei Freizeitaktivitäten, beim Fliegen. Verzichten wir nun auf all diese wunderbaren Erlebnisse? Ich denke, dass wir von der Gesellschaft so geprägt worden sind, vorsichtig, unsicher und sicherheitsorientiert zu denken und zu handeln. In einer Welt, in der diese Werte für das allgemeine Wachstum wichtig waren, mögen diese Denkweisen durchaus seine Rechtfertigung haben. Nur heutzutage, in einer kapitalistisch ausgewachsenen Wirtschaft, muss es ein betriebswirtschaftliches Umdenken geben. Weg vom Effizienzdenken, weg vom Kapitalismusgedanken, hin zu einer Welt voller Kreativität, Mut und Vielfalt. Hin zum Fluss des Lebens, in dem man in Balance leben kann zwischen Stabilität und weiteren unzähligen Möglichkeiten des Dasein und des Schaffens. Es lohnt sich, sich dem Risiko zu stellen.
Mir ist bewusst, dass viele Kreativschaffende vor Existenzängsten stehen und jede*r eine andere Ausgangssituation hat, aber der erste Schritt ist für alle gleich: man muss auf seine Intuition hören und den ersten Schritt machen. Wir sind die Erschaffer*innen unserer Umstände. Wir sind Künstler*innen und kreieren die Choreografie unseres Lebens. Was ich damit sagen möchte ist, dass es sich so sehr lohnt mutig zu sein, für eine Veränderung, für ein intuitives Umdenken. Uns wird (und vor allem uns Frauen) so oft suggeriert, dass das Leben als Freiberufliche unsicher und unstetig ist. Mag sein, dass wir natürlich nicht so gut abgesichert sind, wie die oder der ein oder andere Angestellte. Dennoch möchte ich euch auch gerne mit auf den Weg geben, dass wir als Künstler*innen und Kreative viele Möglichkeiten in Deutschland bekommen, sich abgesichert zu fühlen. Die Rahmenbedingungen sind gegeben und Unterstützung gibt es mannigfaltig. Ihr müsst nur eure Frequenz auf „JA“ ändern und mit größter Überzeugung starten. Kreiert euer eigenes Stück und wagt euch als Kunstschaffende*r raus in die Welt. Es wird hin und wieder auch Umwege geben und man wird vielleicht mit einer Neujustierung der alten Denkweise konfrontiert, aber auch das ist Teil der eigenen Entwicklung und nur so kann etwas Großes entstehen, das auch Bestand hat. Viele Glaubenssätze haben sich auch bei uns Kreativen eingespeichert. Wir sollten uns hinterfragen, was davon noch die Wahrheit ist. Ist die Großstadt vielleicht doch nicht so ein attraktiver Ort, um seine Kunst zu leben? Sind Excel-Tabellen und Power Point-Präsentationen vielleicht doch nicht so unnötig und unattraktiv? Kann ich vielleicht meine Fühler ausstrecken und mich mit anderen Kunstschaffenden verbinden? Vielleicht entstehen einfach ganz neue Möglichkeiten, wenn wir es einfach nur zulassen.
Und nicht vergessen: “What makes you different or weird – that`s your strength!”
Eure Katie
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